Von der Wanderung zur Klassenfahrt

In den 1960er und 1970er Jahren prägte der große gesellschaftliche Wandel auch das Jugendherbergswerk. Aus den Wanderungen der Schulklassen von Jugendherberge zu Jugendherberge war der dauerhafte Aufenthalt in einer Jugendherberge, die Klassenfahrt, geworden. Damit hatten sich die Anforderungen an die Jugendherbergen geändert. Waren in der Gründungszeit die Anzahl und Lage der Jugendherbergsstandorte nach dem Gesichtspunkt der „Wanderstützpunkte“ gewählt worden, wo eine Herbergsmutter oder ein Herbergsvater ehrenamtlich eine einfache Unterkunft bot, wurden in den 1960ern und 1970ern aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten die kleinen, heimeligen Jugendherbergen, die das Netz ergänzt hatten, um die nun selten werdenden Wanderungen von Haus zu Haus zu vereinfachen, geschlossen. Um den Ansprüchen der stärksten Besuchergruppe, der Schulklassen, zu genügen, wurden größere Hauseinheiten geschaffen und hauptamtliche Herbergseltern eingestellt.

In den 1960er und 1970er Jahren wurden ebenfalls viele neue Jugendherbergen eingeweiht: unter anderem 1963 die neue Jugendherberge hinter dem Trappensee in Heilbronn. Ein Gast bemerkte zum neuen Haus: „Vielleicht fand die Einweihung deshalb abends statt, weil man das Äußere des Gebäudes verstecken wollte...“
In der neu erbauten Jugendherberge Rudenberg wurde 1971 das erste Lehrschwimmbecken in einer Jugendherberge im Bundesgebiet eröffnet.
Ein Treffpunkt der deutschen und israelischen Jugend wurde 1975 mit der Martin-Buber-Jugendherberge in Überlingen geschaffen – am gleichen Platz, an der die ursprüngliche Überlinger Jugendherberge 1926 von Karl Broßmer eingeweiht worden war. Möglich geworden war der Bau durch die Stiftung von Werner Haberland, der kurz vor seinem Tod „sein Vermögen zum Bau einer Begegnungsstätte am Bodensee, die Treffpunkt der deutschen und israelischen Jugend zur Aussöhnung und Verständigung werden“ sollte, stiftete.
Die rege Bautätigkeit im badischen Verband war nur möglich, weil der Landesverband für große Vorzeigeprojekte viele öffentliche Zuschüsse erhielt. Das Deutsche Jugendherbergswerk hatte in den 1970er und später auch noch in den 1980er Jahren einen hohen Stellenwert im Übernachtungsangebot, wodurch es große kommunale Zuschüsse für jeden Bau erhielt. Zusätzlich konnten auch noch Bundesmittel eingesetzt werden.

Sinkende Geburtenzahlen führten Ende der 1970er zu einer geringeren Auslastung. Daher musste über weitere Nutzungsmöglichkeiten nachgedacht werden: Die Jugendherbergen dienten nun nicht mehr nur als Unterkünfte für Wanderungen und Klassenfahrten, sondern auch der Jugend- und Familienerholung und als Bildungs- und Tagungsstätten. Hinzu kamen die Aufgaben im Rahmen der internationalen Jugendbegegnung, sowie differenzierte Freizeitangebote. Um all diese Aufgaben erfüllen zu können, wurden die Häuser weiter modernisiert und die Öffnungszeiten erweitert.
In der Gesellschaft hatten sich mit dem gestiegenen Lebensstandard die Ansprüche an den Wohnkomfort gewandelt – so auch in den Jugendherbergen. Als noch Strohsäcke als Nachtlager dienten und die Pumpe zum Waschen im Hof war, waren viele der Gäste dies auch von zu Hause aus gewöhnt gewesen. Dies war nun völlig anders.

Auch der Anspruch der Jugendlichen nach mehr Rückzugsmöglichkeiten und Privatsphäre nahm durch die veränderten Lebensumstände zu. Während sich die jungen Gäste zuvor ganz von alleine zusammen gefunden hatten und das gemeinsame Singen gerne auch noch einmal im Schlafanzug stattfand, wurde nun der von außen an die Jugendlichen herangetragene gemeinschaftsbildende Wert immer wichtiger.
Die Aufgaben der Herbergseltern erweiterten sich dadurch noch mehr. Der Arbeitsalltag der Herbergseltern wurde in den 1970ern wie folgt beschrieben: „Die hauptamtliche Aufgabe von Mann und Frau als gleichberechtigte Teile der Herbergseltern-Familie setzt bei beiden eine jugendnahe, hilfsbereite und duldsame, menschliche Grundhaltung voraus […] Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass der Herbergsvater handwerklich oft zur Selbsthilfe greift […] „Die Axt im Haus erspart den Zimmermann. Musische Begabung, das heißt die Fähigkeit, ein Instrument (Gitarre, Laute, Ziehharmonika) zur Begleitung von Liedern und Tänzen zu spielen, wäre wünschenswert, [...]“, das heißt, die Herbergseltern sollten nun das gemeinsame Musizieren der Gäste anleiten.

Mitte der 1980er konnten die weiter abnehmenden Übernachtungszahlen nur noch teilweise auf die abnehmenden Schülerzahlen zurückgeführt werden. Die Verweildauer wurde immer kürzer – aus zweiwöchigen Klassenfahrten wurden zwei bis drei Übernachtungen. Dazu hatten die Jugendherbergen in der Gesellschaft an Attraktivität eingebüßt, obwohl die Völkerverständigung, der direkte Kontakt zu den Angehörigen anderer Nationen, für den die Jugendherbergen standen, immer wichtiger wurde.
Dieser Entwicklung begegnete man zunächst durch weitere Sanierungsmaßnahmen. In den 1980er Jahren wurde in beiden Verbänden vor allem das äußere Erscheinungsbild verbessert: Zahlreiche Renovierungen und viele Neueröffnungen prägten die Zeit. Die Zimmer wurden verkleinert und die Sanitäranlagen ausgebaut, um den Ansprüchen der Gäste Rechnung zu tragen. Dazu machte man sich daran, das Herbergsnetz weiter auszudünnen und die unterschiedlichen Gästegruppen direkt anzusprechen: der Beginn des zielgruppenspezifischen Marketings.

Nachdem Bundeskanzler Helmut Schmidt 1981 die DDR besucht hatte, begann der deutsch-deutsche-Jugendaustausch mit der Freien Deutschen Jugend (FDJ), dem kommunistischen Jugendverband der DDR. Der Landesverband Schwaben beteiligte sich zwischen 1984 und 1989 unter der Organisation seines Vorstandsmitgliedes Heinrich Weidner daran.

Sowohl im badischen, wie auch im schwäbischen Verband durften immer wieder hochkarätige Gäste begrüßt werden. Bei der Einweihung der Jugendherberge in Erpfingen wurde 1981 Bundespräsident Karl Carstens erwartet. Weil es Nebel hatte, konnte sein Hubschrauber aber nicht in der Nähe landen. Die Polizei holte Carstens an einem weiter entfernteren Landeplatz ab, während die Gäste „halt so lange warteten.“
Bundespräsident Richard von Weizsäcker besuchte im Herbst 1991 die Jugendherberge Breisach, die zugleich als deutsch-französische Schülerbegegnungsstätte dient. Er aß mit den deutschen und französischen Schülern zu Mittag und plauderte ungezwungen mit ihnen.

Ein durch einen Kabelbrand ausgelöstes Feuer zerstörte im Jahr 1982 das Obergeschoss und das Dach der Jugendherberge Veltishof in Titisee. Den Herbergseltern gelang es, die 110 Gäste unbeschadet zu evakuieren und in benachbarten Jugendherbergen unterzubringen. Im Mai des nächsten Jahres konnten bereits wieder die ersten Gäste im Erdgeschoss und im Untergeschoss untergebracht werden.
Ebenfalls 1982 brach im Dachgeschoss der Jugendherberge in Schluchsee-Wolfsgrund ein Brand aus und richtete großen Schaden an. Löschwasser und der strenge Frost vergrößerten diesen noch. Der gesamte Altbau musste abgerissen werden.

1989 kam eine ungewöhnliche Aufgabe auf die Landesverbände in Baden und Schwaben zu: Die ersten Übersiedler aus der DDR mussten untergebracht werden.