Erstes Krisenjahr 2020:  Zusammenbruch des Kinder- und Jugendreisemarkts

  

Ein Blick auf die Bilanz der Übernachtungszahlen 2020 macht deutlich, wie schwer die DJH-Jugendherbergen in Mecklenburg-Vorpommern vom ersten Corona-Krisenjahr getroffen wurden. Doch die Analyse zeigt noch mehr: Den fast gänzlichen Einbruch des Kinder- und Jugendreisemarktes für das Gesamtjahr 2020 und die Fortsetzung dessen in 2021. Die Tatsache, dass sich dieser Einbruch nicht durch kurzfristige Urlaubsgäste aufholen lässt belegt: Solange sich die Situation in der Institution Schule und in der Kinder- und Jugendarbeit nicht normalisiert, befindet sich der Kinder- und Jugendreisemarkt noch mitten in der durch die Corona-Pandemie ausgelösten Krise.

  

Erfolgsjahr 2019

trifft auf Stornierungswelle

Noch im Jahr 2019 hatte der DJH-Landesverband Mecklenburg-Vorpommern e. V.  mit 381.750 Übernachtungen und einem Wachstum von 6,4  % im Vergleich zum Vorjahr das Jahr erfolgreich abgeschlossen. Noch Ende Februar 2020 sah auch der Vorbuchungsstand für das laufende Jahr positiv aus: Rund 70% der Buchungen, die in den Jugendherbergen des DJH-Landesverbandes erwartet wurden, standen bereits in den Büchern. Für das Jugendreisesegment ist das nicht ungewöhnlich, da die wichtigsten Zielgruppen - Jugendgruppen und Schulklassen - Monate oder bereits ein Jahr im Voraus ihre Reiseplanungen konkretisieren.

Mit Beginn der Corona-Pandemie im März 2020 erlebte der DJH-Landesverband eine nie dagewesene Stornierungswelle, die für das Gesamtjahr 2020 anhalten sollte. In der Jahresbilanz 2020 verzeichneten die 14 DJH-Jugendherbergen in Mecklenburg-Vorpommern insgesamt nur noch rund 125.000 Übernachtungen. Das war im Vergleich nur noch rund ein Drittel (33 %) des Übernachtungsergebnisses des Vorjahres.

Maßgeblich verantwortlich für diese Entwicklung waren die Corona-bedingten Stornierungen von Klassenfahrten und Jugend-Gruppenreisen, den Kernzielgruppen der Jugendherbergen, die in gewöhnlichen Geschäftsjahren rund zwei Drittel (60 %) der Gäste im DJH-Landesverband M-V ausmachen. In absoluten Zahlen fiel die Anzahl der Übernachtungen von Schulen in 2020 um 93% im Vergleich zum Vorjahr und die Anzahl von Übernachtungen von Jugendgruppen um 80 % im Vergleich zum Vorjahr. Mehr zu den Jahresbilanzen des DJH-MV unter: Statistisch gesehen - das Jahr 2020 in Zahlen.

Die dramatische Bilanz im Schul- und Jugendgruppensegment entstand durch behördliche Reiseverbote für diese Zielgruppen. Dabei reichten diese Reiseverbote zeitlich weit über die bekannten Lockdown-Phasen, die für den  klassischen Tourismus maßgeblich waren. Vor allem im Schulbereich reichten die Reiseverbote einzelner Bundesländer weit in die zweite Jahreshälfte 2020. Von den pandemiebedingten Stornierungen im Laufe des Jahres 2020 machten die Stornierungen von Schulen und Jugend-Gruppenreisen rund 80 % aus.
Spontane Buchungen aus diesem Segment waren praktisch nicht existent, weil die Reiseplanungen von Schulklassen und Jugendgruppen langfristig erfolgen. Die Anforderungen für die Genehmigung und Finanzierung dieser Fahrten verlangen diese langfristige Planung.

 

  

(Jugend)-Gruppenreisen versus Individualtourismus:

Trotz Zuwachs bei Familien keine ausreichende Auslastung

In den Anteilen von Familien- und Individualgästen für 2020 zeigt sich im Verhältnis zum Gesamt-Übernachtungsergebnis, dass sich für einen einschlägigen Jugend- und Schulreiseanbieter wie den DJH-Landesverband M-V Verluste in seinem Kernsegment nicht einfach durch andere Zielgruppen ersetzen lassen: So stieg der Anteil von Übernachtungen von Familien und Einzelgästen von rund 40 % in 2019 auf rund 75 % in 2020 und dennoch verzeichnete der Verband nur rund 1/3 der Übernachtungen des Vorjahres. Grund hierfür ist, dass der Wegfall von Gruppenbuchungen mit den im Jugendreisesegment üblichen, hohen Personenanzahlen schwer durch Buchungen von Familien und Individualgästen mit deutlich geringeren Teilnehmerzahlen der Reisenden aufgeholt werden kann. Um ein Beispiel zu nennen: Für eine im Kinder- und Jugendreisesegment durchaus übliche wegfallende Gruppenbuchung mit 60 Personen müssten rund 20 Familien zum „auffüllen“ dieser Plätze akquiriert werden.

Zudem füllen im Kinder- und Jugendreisesektor Familien und Einzelgäste nicht dieselben Reisezeiten, die von den massenhaften Stornierungen durch Schulklassen betroffen waren. Schulklassen reisen außerhalb der Ferienzeiten sowie unter der Woche von April bis Juni sowie ab September. Während man in der Saison 2020 in der Tourismusbranche positive Effekte, wie zum Beispiel erhöhten Andrang durch wegfallende Auslandsreiseziele beobachten konnte, verpuffte dieser Zulauf in den Jugendherbergen in Mecklenburg-Vorpommern. Mehr Individualtouristen in den Ferien können Unterkünfte, die auf (Jugend-)Gruppenreisen sowie Zeiten außerhalb der Ferien ausgerichtet sind, nicht kostendeckend füllen.

Weiterhin sind nicht alle Jugendherbergen des DJH-Landesverbandes M-V baulich geeignet gewesen, um den Anforderungen als Familien-Urlaubsquartier zu entsprechen. Jugendherbergen sind zweckmäßige Gruppenunterkünfte mit Stockbetten und vorrangig Gemeinschaftsbädern. Zudem konnte aufgrund der Lage nicht jeder Standort als Familien-Reiseziel punkten. Jugendherbergen sind gemeinhin auf Kinder- und Jugendgruppen angewiesen.

Somit ist der Zuspruch im Familien- und Individualsegment in 2020 höchst begrüßenswert und spricht dafür, dass sich zumindest ein Teil der Jugendherbergen in Mecklenburg-Vorpommern im Familienbereich als adäquate Unterkünfte erweisen. Ein Überleben des Gesamtbetriebs DJH-Landesverband M-V können diese Zielgruppen jedoch nicht allein und auch nicht langfristig sichern.

Dementsprechend ist es nicht verwunderlich, dass das Jahr 2020 das Segment Kinder- und Jugendreisen weitaus härter getroffen hat als die gesamte Tourismusbranche: Das Statistische Amt Mecklenburg-Vorpommern verzeichnet für das Jahr 2020 einen Rückgang von -18% der Übernachtungszahlen der gesamten touristischen Unterkünfte im Land im Vergleich zum Vorjahr. Für das Segment Jugendherbergen und Hütten, bestehend aus 99 Kinder- und Jugendübernachtungsstätten - von denen 14 vom DJH-Landesverband M-V betrieben werden (Stand 2020) - lag der Rückgang bei -57%.

  

Gästevertrauen:

erfolgreiche Umbuchungsstrategie sichert Übernachtungen

Positiv zu erwähnen ist, dass sich die am Ende noch erreichten rund 125.000 Übernachtungen des DJH-Landesverbandes M-V im Jahr 2020 gut zur Hälfte aus dem Erhalt von Bestandsbuchungen zusammensetzten. Das waren Buchungen, die vor 2020 getätigt und nicht storniert wurden. Zu einem weiteren Viertel setzen sich die Übernachtungen 2020 aus Umbuchungen zusammen, die aus Reiseverbotszeiten - zum Beispiel im Juni 2020 - auf einen späteren Zeitpunkt des Jahres 2020 umgebucht wurden. Weiterhin wurden 35.000 Übernachtungen, die in 2020 pandemiebedingt abgesagt wurden, von den betroffenen Gästen in das Jahr 2021 umgebucht.
Dies spricht für ein grundlegendes Gästevertrauen und Nähe der Zielgruppen zu ihren Stammjugendherbergen, trotz Pandemie. Dieses Gästevertrauen wurde im Krisenjahr 2020 durch eine transparente Gästekommunikation vonseiten des DJH-Landesverbandes M-V analog und digital gewährleistet, sowie durch intensive Gästebetreuung durch Herbergsteams und durch das Servicepersonal des DJH-Landesverbandes M-V. Weitere erfolgreiche Mittel im Umgang mit der Krise waren gelockerte Stornierungsbedingungen, die kostenlose Umbuchungsmöglichkeit und Geld-zurück-Garantie und einwandfrei umgesetzte Hygienekonzepte in den Jugendherbergen. Mehr zum Thema im Artikel: 6 Felder des Krisenmanagements im DJH-Landesverband M-V.

 

  

Ausblick:

zweites Krisenjahr 2021 verschärft die dramatische Bilanz 2020

Das dramatische Ergebnis von nur noch rund einem Drittel des gewöhnlichen Übernachtungsvolumens ist durch eine erfolgreiche Umbuchungsstrategie dennoch nicht abgefedert. Die Hoffnung darauf, dass sich die Pandemiesituation 2021 bessern würde, bestätigte sich nicht. Vielmehr steigerten sich durch erneute Lockdowns und Reiseverbote für Schulklassen im Jahr 2021 Verluste und es entstand ein erheblicher Investitionsstau durch die fehlenden Einnahmen.

Zudem sind die strukturellen Folgen für den Betrieb erheblich: Wie im gesamten Dienstleistungsgewerbe wechselten auch im DJH-Landesverband Mecklenburg-Vorpommern seit Mitte 2020 Mitarbeiter in andere, nicht so stark von Lockdowns betroffene Branchen. Personalmangel - im Dienstleistungssektor Mecklenburg-Vorpommerns bereits vor Corona ein zentrales Problem - droht  den DJH-Landesverband M-V an die Grenzen der Betriebsfähigkeit seiner Jugendherbergen zu bringen.

Hinzu kommt, dass nicht nur das Jugendreisen, sondern die Kinder- und Jugendarbeit im Allgemeinen sowie das schulische Leben weder in 2020 noch in 2021 zur Normalität zurückgekehrt sind. Das Gegenteil findet statt: Kinder und Jugendliche haben sich durch Homeschooling und Lockdowns von der sozialen Lerngemeinschaft und vom Vereinsleben entwöhnt. Lehrer*innen sind verunsichert, ob die finanziellen und gesundheitlichen Risiken einer Klassenfahrt den Nutzen für die Lern- und soziale Gemeinschaft  überwiegen. Dies führt nicht nur dazu, dass weniger Jugendarbeit, Vereins- und Schulfahrten  stattfinden, sondern hat weitreichende Folgen für die Entwicklung und Sozialisierung von Kindern und Jugendlichen.

Zusammenfassend kann festgehalten werden: Die dramatische Bilanz des Krisenjahres 2020 fällt so schwer ins Gewicht, da sich ein zweites Pandemiejahr an das erste nahtlos anschloss und sich hierdurch die Institution Schule, die Kinder- und Jugendarbeit und damit der Kinder- und Jugendreisemarkt seit März 2020 bis heute nicht maßgeblich erholt haben. Kinder und Jugendliche, die Kinder- und Jugendarbeit und damit auch der DJH-Landesverband Mecklenburg-Vorpommern als anerkannter Träger der Jugendhilfe befinden sich im 4. Quartal 2021 noch immer mitten in der durch die Corona-Pandemie ausgelösten Krise.


  

Weiterlesen:

6 Felder des Krisenmanagements im DJH-Landesverband M-V

Statistisch gesehen: Das Jahr 2020 in Zahlen

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