In der Jugendherberge Ravensbrück finden Schulklassen einen besonderen Lernort, denn unter dem Motto „Mit modernen Medien Geschichte und Gegenwart erkunden“ erwartet euch eine medienaffine Gedenkstättenpädagogik, die den Politikunterricht sinnvoll ergänzt. Gleichzeitig ist die Jugendherberge durch ihre Lage zwischen Naturparks und zahllosen Seen auch der perfekte Ausgangspunkt für Rad- und Kanutouren, Wanderungen sowie Ausflüge mit dem Segelboot.

Bewegende Geschichte in malerischer Natur

Im Norden Brandenburgs liegt die Wasserstadt Fürstenberg an der Havel, denn sie ist umgeben von vielen Seen und Flüssen. Rund 6.500 Menschen leben hier im mittelalterlichen Stadtkern, der sich zwischen Röblinsee, Baalensee und Schwedtsee erstreckt. Die Stadt grenzt sowohl an den Nationalpark Uckermärkische Seen als auch an das Stechlin-Ruppiner Land, wodurch sie der ideale Ausgangspunkt für eine aktive Auszeit in der Natur ist. Fürstenberg wird von mehreren Fernradwegen durchquert, sodass Radfahrervoll auf ihre Kosten kommen. Aber auch Wanderfans, Laufbegeisterte, Pferdefreundinnen sowie Wassersportler finden in der beschaulichen Kleinstadt und ihrer Umgebung zahlreiche Möglichkeiten für Bewegung und Erholung, weil das abwechslungsreiche Umland ideale Bedingungen bietet.

Heike Gerth, Lehrerin an der Caspar-David-Friedrich-Schule in Greifswald, besucht Fürstenberg regelmäßig – jedoch nicht für den privaten Urlaub, sondern mit ihrer Klasse. Im Rahmen des Geschichtsunterrichts organisiert sie eine kombinierte Projekt- und Klassenfahrt zur Internationalen Jugendbegegnungsstätte Ravensbrück, denn dieser Ort lädt zum Fragen, Lernen und Verstehen ein. „Das Besondere an dieser Jugendherberge ist, dass wir direkt an einem historischen Ort wohnen. Wir leben, schlafen, essen und verbringen unsere Freizeit hier, während wir gleichzeitig unser Projekt durchführen“, erzählt Heike Gerth. „Nur ein Zaun trennt uns vom Gelände des ehemaligen Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück, und ein paar Schritte weiter findet unsere Klassenfahrt statt.“ Das Konzentrationslager Ravensbrück wurde 1939 von der SS errichtet, und es war das größte Frauenkonzentrationslager auf deutschem Boden. Nach der Befreiung im April 1945 nutzte die sowjetische Armee Teile des Lagers als Kaserne, doch bereits ab 1948 setzten sich Überlebende für die Errichtung eines Gedenkortes ein. Heute liegt die Jugendherberge Ravensbrück direkt an der Mahn- und Gedenkstätte – am Ufer des Schwedtsees und umgeben von einem ruhigen Waldstück.

Lernen durch Selbsterkundung

Es ist Ende Juni. In der Nacht hat es geregnet, doch die Temperaturen steigen schnell wieder auf 30 Grad Celsius. Die neunte Klasse der Caspar-David-Friedrich-Schule trifft sich pünktlich um 8 Uhr zum Frühstück in der Jugendherberge. Am Buffet warten frische Brötchen, verschiedene Aufstriche – auch vegane –, Pancakes, Müsli und Wassermelone auf die noch müden Schüler*innen. Die Klasse hat die Nacht in den Häusern der ehemaligen Aufseherinnen verbracht, weil am Vortag eine Kanutour und ein abendliches Volleyballmatch auf dem Gelände der Jugendherberge stattfanden.

Heute startet der erste Projekttag. Das Konzept sieht vor, dass das ehemalige Konzentrationslager selbstständig erkundet wird. Dabei notieren sich die Schüler*innen, was ihnen auffällt oder unklar bleibt, und entwickeln daraus Fragen, die später in der Projektarbeit bearbeitet werden. Begleitet wird die Gruppe von Friederike Krebs, einer freiberuflichen Gedenkstättenpädagogin. „Ich glaube, es ist wichtig, dass Schülerinnen und Schüler Gedenkstätten besuchen, weil man im Unterricht nicht immer alle gut erreichen kann“, erklärt sie. „An einem solchen Ort kann Wissen durch andere Methoden viel besser vermittelt werden.“ Während einer kurzen Begrüßung erfährt die Klasse, dass der Bekanntheitsgrad des ehemaligen Konzentrationslagers nicht der Bedeutung dessen entspricht, was dort geschehen ist. Viele Tourist*innen aus der Region landen eher zufällig in der Mahn- und Gedenkstätte, weil sie vorher noch nie von Frauenkonzentrationslagern gehört haben. Wie viele Häftlinge in der Gaskammer des Lagers ermordet wurden, lässt sich nicht mehr genau nachvollziehen. Schätzungen gehen von 5.000 bis 6.000 Menschen aus. Auch die exakte Gesamtzahl aller Todesopfer ist unklar, doch Historiker*innen rechnen mit 29.000 bis 30.000 Frauen, Kindern und einigen Männern.

Welchen Endruck hinterlässt der Besuch einer Mahn- Und Gedenkstätte bei Schülerinnen und Schülern? Wir haben eine 9te Klasse aus Greifswald begleitet. 

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Die Klasse ist in Kleingruppen aufgeteilt und hat nun 45 Minuten Zeit, das Lagergelände zu erkunden sowie eigene Fragen zu notieren. Zügig verteilen sich die Schüler*innen auf dem weitläufigen, grauen Schotterplatz, denn sie wollen möglichst viel entdecken. Ihr Weg führt vorbei an den ehemaligen Häftlingslagern, dem Industriehof, der Schneiderei, den Baracken und dem Krankenrevier. Viele der Gebäude stehen heute nicht mehr, sodass die Klasse eine bedrückende, triste Leere vorfindet. Dennoch schauen sich die Schüler*innen aufmerksam Fotos an, lesen Infotafeln durch und hören sich Zeugenaussagen an. Dabei wird kaum gesprochen, weil die Stimmung spürbar gedrückt ist. In den rekonstruierten Zellen mit Pritsche, Hocker, Waschbecken und Toilette – dort, wo früher häufig ein scharfer Schäferhund angekettet war – hört man hin und wieder ein leises „Boa, krass“. Obwohl dieses Kapitel der deutschen Geschichte bereits im Unterricht behandelt wurde, entdecken die Schüler*innen auch viele neue Details. Nach dem Rundgang kehren die Kleingruppen mit ihren gesammelten Fragen zum Besucherzentrum zurück, um das Erlebte weiter zu besprechen.

In einer 90-minütigen Nachführung mit Friederike Krebs werden offene Fragen geklärt, zusätzlich viel Neues gelernt und auch unscheinbare Details erklärt. Ein Beispiel: Der Schotterplatz besteht aus Schlacke, die bei der Metallgewinnung in der Erzverhüttung entsteht. Damit erinnert er an die Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie im Siemenslager. Friederike Krebs fragt die Gruppe, wer alles in den Lagern inhaftiert war. Gemeinsam wird gesammelt: Jüdinnen, Homosexuelle, Straftäterinnen, Kommunistinnen, Sozialdemokratinnen und Frauen, die Jüdinnen und Juden versteckt haben. Außerdem nennt die Gruppe Frauen, die Freundschaften zu Zwangsarbeiter*innen pflegten, sowie Anarchistinnen, Prostituierte und Frauen, die abgetrieben hatten oder an einer Geschlechtskrankheit litten. Auch Alkoholikerinnen, Obdachlose, Arbeitslose, Sinti und Romnja werden genannt. Die größte Gruppe in Ravensbrück waren jedoch Polinnen. 

Die Klasse ist überrascht, wie lang diese Liste wird. Ein Schüler sagt spontan: „bescheuert!“ Ein weiteres Detail sorgt für Verwunderung: Direkten Kontakt zu den Häftlingen hatten nur Aufseherinnen. In der letzten Phase des Lagers kamen auf über 30.000 Häftlinge mehr als 500 Aufseherinnen. Meist waren es junge Frauen, die sich wegen der guten Bezahlung, der sicheren Rente und des Beamtinnenstatus für diesen Beruf entschieden. Wachmänner wurden hingegen nur auf Außenposten eingesetzt. Friederike Krebs fasst die Motivation der Aufseherinnen zusammen: Nur selten war Sadismus der Grund. Viel häufiger spielten politische Überzeugung, der Wunsch nach einem sicheren Job oder das Bedürfnis, dazuzugehören, eine Rolle. Denn aus Zeitzeugenberichten geht hervor, dass sich nur wenige bemühten, menschlich zu bleiben.

Zum Schluss geht es gemeinsam in das Krematorium. Auf dem Weg dorthin erfährt die Klasse, dass die Häftlinge in den Gaskammern mit Insektenvernichtungsmittel ermordet wurden. Dabei macht sich Betroffenheit breit, als die Gruppe erfährt, dass Überlebende aus Auschwitz noch in Ravensbrück getötet wurden. Im Krematorium angekommen, herrscht zunächst Stille. Es gibt weder Kommentare noch Fragen, denn der Eindruck ist überwältigend. Neben dem Krematorium liegt die Gedenkstätte, die von roten Rosen umgeben ist. „Sehr schön hier. Das ist so absurd“, flüstert eine Schülerin. Währenddessen diskutieren andere: „Tot stellen? Das bringt nichts. Du hast ja noch Puls.“ Eine weitere Stimme sagt: „Ich hätte gar nicht mehr versucht, zu fliehen, weil du eh erschossen worden wärst.“

Erlebtes reflektieren

Während der Mittagspause lassen die Schüler*innen das Gelernte sacken und ziehen ein erstes Fazit. Viele sagen: „Wir haben gedacht, dass zumindest noch 50 Prozent des Lagers stehen. Dass schon so viel abgerissen wurde, hätten wir nicht erwartet.“ Doch es bleibt nicht bei dieser Feststellung, denn die Gruppe setzt sich auch mit dem Erlebten auseinander. Eine Schülerin fragt: „In der Schule wird immer nur gesagt: ‚Die sind tot.‘ Aber wie wurde das genau gemacht? Wie wurden die erschossen? Die lagen dann doch da. Standen die vorher in einer Schlange?“ Das ist der richtige Zeitpunkt, um in die Projektarbeit zu starten. Dabei geht es nicht nur um Fakten, sondern auch um das, was persönlich bewegt. Heike Gerth fasst zusammen: „Was mich besonders beeindruckt, ist, dass nicht nur im Moment des Projekts gesprochen wird, sondern auch noch am Nachmittag und Abend viele Gespräche stattfinden. Es ist schön zu sehen, dass wir die Schüler*innen so erreichen, dass sie darüber reden, was sie verwundert, erstaunt und erschüttert hat.“ Sie ergänzt: „Gerade solche Fragen zeigen, was die Menschheit hervorgebracht hat. Für die Schüler*innen ist es wichtig, dass man so eine Projektfahrt macht und raus aus dem Schulalltag kommt. Denn nur an historischen Schauplätzen lässt sich Geschichte wirklich begreifen  und nicht allein im Lehrbuch oder im Film.“

Projektarbeit und Gedenken

Die Klasse findet sich erneut in fünf Kleingruppen zusammen und wählt ihre Themen für die Projektarbeit aus. Zur Auswahl stehen: Kinder im Konzentrationslager, die Menschen aus Fürstenberg, das Leben in Baracken, das Jugendkonzentrationslager und die Aufseherinnen. Anschließend beginnt die Recherche direkt auf dem Gelände, denn diese liefert die Grundlage für die Plakate, die am zweiten Tag entstehen werden. Friederike Krebs fasst ihre Erfahrungen so zusammen: „Ich denke nicht, dass jede Deutsche oder jeder Deutscher einmal in einer KZ-Gedenkstätte gewesen sein muss. Aber es verändert das Wissen darüber und auch das Gefühl dazu, wenn man wirklich vor Ort war. Das beeindruckt Besucher*innen auf jeden Fall mehr, als nur einen Film zu schauen oder ein Buch zu lesen.“ Auch Luca stimmt ihr zu: „Es war auf jeden Fall eine neue Erfahrung. Für mich war es etwas Neues und auch eine positive Erfahrung.“ Nike ergänzt: „Ich fand das auch viel besser, weil man mal alles bildlich nachvollziehen konnte. Im Geschichtsunterricht hört man es nur. Aber jetzt konnte man alles sehen und sich das viel besser vorstellen.“

Am Abend trifft sich die Klasse zum gemeinsamen Grillen unter den schattenspendenden Kastanienbäumen auf dem Gelände der Jugendherberge. Dabei genießen alle die entspannte Atmosphäre, denn der Tag war intensiv und voller Eindrücke. Heike Gerth zieht ihr Fazit: „Ich finde es gut, dass man eine Kombination macht. Dass man nicht nur die Geschichte Deutschlands verarbeitet und den Schüler*innen näherbringt, sondern dass man das auch mit Freizeit verbindet. So bleibt das Erlebte besser im Kopf.“

Zum Abschluss wird die Klasse gemeinsam Blumen niederlegen, um der Opfer zu gedenken. „Das ist immer ein bewegender Moment, auch für die Schüler*innen“, weiß Heike Gerth

Klassenfahrten zu Gedenkstätten

Ravensbrück (Brandenburg)

Historische Spuren

Einblicke in die NS-Geschichte

ab 173,00 €

3 Ü/VP, p. Pers.

7.-13. Klasse

Wewelsburg (Nordrhein-Westfalen)

(Aus) Geschichte lernen!

Die Wewelsburg und ihre SS-Geschichte

ab 125,00 €

2 Ü/VP, p. Pers.

9.-13. Klasse

Rotenburg an der Fulda (Hessen)

Geschichte erleben

Gesellschaft im Wandel der Zeit. Wir mittendrin.

ab 289,00 €

4 Ü/VP, p. Pers.

5.-13. Klasse

Dachau (Bayern)

3-tägiger Studientag

3 Tage Zeitgeschichte im Studienzentrum

ab 112,00 €

2 Ü/VP, p. Pers.

9.-13. Klasse


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